Der Auftrag / Die Winterreise
Winterreise in ein trauriges Tropenreich (Mitteldeutsche Zeitung, Samstag 21.05.2005)
Halle/ahi. Zunächst klingt es wie ein Dramaturgen-Witz: »Was haben ›Der Auftrag‹ und ›Die Winterreise‹ gemeinsam? Beide wurden von einem Müller geschrieben.« Doch wenn man sich das müde Lächeln aus den Mundwinkeln gewischt und einen Moment über die Frage nachgedacht hat, scheint sie gar nicht mehr so abwegig. Schließlich erzählen sowohl Heiner Müllers Theaterstück als auch Wilhelm Müllers Gedichtzyklus vom Leiden an der Welt, das sich nur in der Form seiner Entäußerung unterscheidet: Während der Dramatiker seine Figuren mit einer Revolution in die Tropen schickt, lässt der Lyriker seinen Wanderer im deutschen Winter erfrieren. All das hat Anna Siegmund-Schultze mitgedacht, als sie mit Studenten der Martin-Luther-Universität nun »Der Auftrag / Die Winterreise« inszenierte. Die Theatergruppe, die sich programmatisch »Varomodi« nennt, schneidet die Vorlagen geschickt gegeneinander: So korrespondiert Debuissons Erkenntnis »Revolution macht müde« plötzlich mit dem Schubert-Lied »Nun merk ich erst, wie müd‘ ich bin«. »Ich träumte von bunten Blumen« liefert einen Kommentar zu den gescheiterten Hoffnungen der Freiheitsboten – und das »Fremd bin ich eingezogen« beschreibt Willkommen und Abschied auf Jamaika.
Edelstein als Glasperle
Am besten aber ist dieser Abend, wenn er statt solcher Echowirkung die Verzerrung wagt. Weil »Der Lindenbaum« ein falscher Edelstein der deutschen Empfindsamkeit ist, wird er hier wie eine koloniale Glasperle behandelt und in ein lautmalerisches Kauderwelsch verwandelt. Und weil der Auftakt, der auf dem Keyboard angeschlagen wird, bereits zum finalen Lied vom Leiermann gehört, ist der emotionale wie faktische Teufelskreis von Anfang an geschlossen. Das ist gut gedacht und gemacht. Die emotionale Beteiligung, mit der die Darsteller zu Werke gehen, hätte auch Wilhelm Müller gerührt – zumal der ja, was gern vergessen wird, selbst revolutionäre Neigungen hatte.
Darsteller: Heinz Barth, Martin Kreusch, Uwe Steinbrecher, Stephan Werschke, Katharina Budnik, Jan Frenkel, Christoph Walther, Gabriele Schmidt, Florian Claus, Kathrin Mehnert, Kristian Giesecke, Sabine Eichberg
Regie: Anna Siegmund-Schultze
Buch: Heiner Müller
Musik: Franz Schubert
Bühne/Kostüme: Laura Cugat Schoch, Anke Hennig
Maske: Grit Brömme
Theater VAROMODI dankt seinen Förderern und Unterstützern